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Samstag, 21. März 2020 (Tag 6)

Heute erzählt mir eine langjährige Kundin - in drei bis vier Meter Abstand - von ihren Sorgen. Sie sieht schlecht aus. Ich kenne die ganze Familie seit Jahren. Die Tochter macht zurzeit ein Praktikum in Indien, erzählt sie. Jetzt hat sie dort als Europäerin einen Quarantäne-Stempel auf die Hände bekommen, dass sie nicht fort darf und den Behörden Folge leisten muss. Allerdings wird unser deutscher Luftraum am Sonntag, den 22.03.20, geschlossen. Ich kriege am ganzen Körper Gänsehaut und denke sofort an meine eigenen Kinder. Ich forme meine Hände zu einem Herz und lege diese auf mein Herz. Sie sieht auch meinen Schmerz. Wir nicken uns als Mütter zu.

Seit ein paar Tage zünde ich abends immer um 19  Uhr nach vorne zur Straße und nach hinten in den Hof eine LED Kerze an. Im Radio hatte ich davon gehört, irgendeine Kirche in NRW praktiziert dies. Verrückt, in dem Moment, als im Radio davon erzählt wurde, hat es sich tröstlich angefühlt für mich, also ist es zu meinem abendlichen Ritual geworden. Es tröstet MICH. 

Eine andere Kundin erzählt mir - im Abstand von 2 Metern - von ihrem Arbeitsalltag in einem Bioladen-Supermarkt. Von ihren Erlebnissen und von dem Verhalten einiger Menschen und wie chaotisch es am Montag und Dienstag noch gewesen wäre und dass sie jetzt endlich Handschuhe bekommen hätten und endlich Sicherheitsabstände auf dem Boden aufgemalt wären und Schilder darauf hinweisen, maximal zwei Dinge von einer Sorte einzupacken und nicht mehr. Sie fürchtet um ihren Arbeitsplatz. 

Wir sprechen davon, wie wichtig es sei, in diesen Zeiten Komfortzonen zu verlassen, umzudenken und neue und andere Wege zu gehen und alte Zöpfe abzuschneiden. Ich frage sie, ob sie auch Bringdienste anbieten und ob man bei ihnen bestellen könnte, telefonisch oder online. Sie verneint es nachdenklich. Ich mache meinem Unmut Luft, es macht mich traurig und wütend zugleich, dass Amazon (ein amerikanisches Unternehmen auf der grünen Wiese) jetzt zusätzlich 100.000 Mitarbeiter einstellt und es die kleinen Bio-Supermärkte vielleicht demnächst gar nicht mehr gibt. Nachdenklich sagt sie, sie würde mit ihrem Chef sprechen, vielleicht könnten sie kopierte Handzettel in die hiesigen Haushalte werfen und Bringdienste anbieten. Mein Herz macht einen Freudensprung! Ich strahle sie an und sage ihr, wie toll ich ihre Idee finde.

Etwas später treffe ich eine andere Kundin, diese arbeitet in einer unserer gängigen großen Supermarktketten. Wir halten den empfohlenen Abstand. Ich gehe da auch oft einkaufen, da es auf meiner "Lauf"-Strecke liegt. Ich frage sie nach ihren momentanen Arbeitsbedingungen und Erlebnissen und wieviel Vollzeitkräfte überhaupt dort beschäftigt seien. Was sie erzählt, glaube ich sofort, dieser Arbeitsalltag ist zur Zeit ungeheuerlich, die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird von der aggressiven "first-me-Mentalität" seitens der Kunden und von den "Chefs", die für diesen Laden nur drei Vollzeitstellen beschäftigt haben. Der Rest ist auf 450€ - Basis beschäftigt. Es sei die Rede von sieben Tagen die Woche arbeiten und bis 22 Uhr geöffnet haben, um alles zu entzerren. Leisten soll es dieselbe Belegschaft. Ich bekomme tiefen Respekt vor dieser zierlichen Person, die zwei Meter vor mir steht, und ich bin unendlich dankbar, dass sie ihr Bestes für unser aller Versorgung gibt! Genau das sage ich ihr und bitte sie, meinen Respekt und meine Dankbarkeit auch ihren anderen Kollegen auszurichten. Still frage ich mich, wann die drei vor Überforderung zusammenbrechen!

 P.S.:  Sie hat weder Einmal-Handschuhe, noch kleben Markierungen zum Halten des Sicherheitsabstandes auf dem Boden. Glasscheiben gibt es selbstverständlich auch nicht!

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