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Unser gemeinschaftlicher, ganz persönlicher RGE-Blog

Mittwoch. 8. April 2020 (Tag 24)

Endlich FERIEN!!!! … Aber was für Ferien… ohne Urlaub, ohne Freunde, ohne Familie… Da könnte ich eigentlich auch arbeiten gehen… Das geht aber nicht – sind ja Ferien.
Dann versuchen wir mal die Ferien zu genießen. Mit zwei kleineren Kindern, die wie die Wirbelwinde durch die Wohnung flitzen, habe ich zumindest keine Langeweile. Im Gegenteil… hier gibt es noch genug zu tun. Aber ich möchte doch jetzt auch mal genießen. Bei diesem sonnigen Wetter gelingt es ganz gut. Die Wäscheberge sind fast abgearbeitet, trocknet ja so gut. Moment… genießen! Del Longo hat wieder geöffnet. Dann kann man endlich wieder ein Eis in der Sonne schlecken - aber nicht in unmittelbarer Nähe zur Eisdiele und ja nicht damit auf eine Parkbank setzen, da picknicken ja verboten ist. Oh je. Genieße!
Heute war ich einkaufen – so ganz in Ruhe, ohne Kinder und ohne Zeitdruck. Ferienstimmung. Mein Plan war einfach: Ich wollte im Supermarkt zuerst Pfandflaschen abgeben und dann Lebensmittel einkaufen. Allerdings durfte ich mit dem „normalen“ Einkaufswagen nicht in den dazugehörigen Getränkemarkt. So musste ich mir zuerst einen „Getränke-Einkaufswagen“ holen, die sechs Pfandflaschen abgeben, den einen Einkaufswagen zurückbringen, um dann wieder mit dem „normalen“ Einkaufswagen den Supermarkt zu betreten. Der Sicherheitsmann am Eingang hat mich mehrfach verabschiedet und begrüßt… In jeder anderen Zeit hätte ich mich über diese Regelung aufgeregt und sie für sowas von sinnlos und überflüssig gehalten. Aber so seufze ich nur und befolge die Vorgaben. Schließlich geht es um Sicherheit und um das Einhalten der maximalen Kundenanzahl im Laden. Das ist sinnvoll. Wir wollen uns ja schützen und geschützt werden.
Erneut muss ich seufzen, als ich sehe, dass es immer noch kein Toilettenpapier gibt. Dabei habe ich doch gerade heute gelesen, dass der Toilettenpapierumsatz stark eingebrochen ist. Die Leute kaufen nicht mehr so viel. Aber wir sind ja auf dem Land. Vielleicht dauert es da ein bisschen, bis die überschüssigen Rollen hier angelangt sind.
Was ich im Supermarkt auf jeden Fall gelernt habe, ist: Geduld zu haben, ruhig zu warten, bis sich der Vordermann am Regal für die richtige Käsesorte entschieden hat, damit man auch kurz zugreifen kann – und zu improvisieren: Wenn es nicht das gibt, was man haben möchte, kauft man halt etwas anderes. Noch nie war es im Supermarkt so leise… keine Kinder, keiner spricht, alle rollen die Wagen mit Abstand aneinander vorbei… fast schon gruselig. Genießen! Ich gebe es auf. Das fällt mir schwer – besonders, wenn ich mir am Abend die Nachrichten anschaue und die neuesten Covid-19-Zahlen erfahre, Berichte lese über NY und die Situation in den Krankenhäusern.
Der Mensch sollte demütiger werden. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. Wir machen nicht alles richtig. Wir sollten nachdenken – nachdenken darüber, was wirklich wichtig ist, was wir uns gemeinsam in unserer Welt wünschen. Unsere Werte-Tabelle wird gerade – hoffentlich – neu geordnet. Oder war uns schon vor Corona so klar, wie wichtig Gemeinschaft ist?
Bleibt alle gesund und nehmt weiter aufeinander Rücksicht!

Donnerstag, 02.04.2020 (Tag 18)

Da schreien wir seit Jahren, die Politik möge sich doch mal glaubhaft um uns kümmern. „Die sollen mal was Gescheites machen. Für den „kleinen Mann“. Nun, in dieser Situation tun sie etwas. Weitgehend ohne Parteigerangel. Ich möchte hier nicht entscheiden müssen. So viel Verantwortung zu tragen, ohne dabei selber krank zu werden! Hut ab. Wir danken so vielen sogenannten Heldinnen und Helden. Auch wenn das Heldentum die falsche Zuordnung wäre, aber unsere Politikerinnen und Politiker zeigen zur Zeit Haltung und Handlungsbereitschaft. Wer weiß schon, was die richtige Entscheidung ist. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, so ist derzeit das Motto. Und das finde ich gut so. Wir werden das schon schaffen, aus Verantwortung für den Nächsten, aber natürlich auch aus Eigeninteresse. Danke an alle Gewählten, die gerade unsere Geschicke begleiten. Vielleicht rutschen wir ja mit „denen da oben“ auch wieder ein wenig mehr zusammen. Es muss nur Bewegung von beiden Seiten geben.

Dienstag, 31.03.2020 (Tag 16)

Ich habe gerade das erste Mal das RGE-Tagebuch gelesen, ein ganz großes Lob für diese tolle Idee!

Ich kann die Gefühle und Gedanken der Verfasser allesamt nachempfinden, denn diese Situation erleben alle gerade zum ersten (...und hoffentlich einzigen) Mal. Gerade das - dass wir alle diese Zeit meistern müssen - tröstet mich, und wenn ich die Beiträge lese, empfinde ich eine große Zuversicht und eine Zusammengehörigkeit.
Ich habe auch ganz unterschiedliche Gefühle, in manchen Stunden fühle ich fast ein neues Freiheitsgefühl, weil die tägliche Taktung und die Hetze von Termin zu Termin weg sind. Aber spätestens bei den Nachrichten holt mich der Schrecken über das globale Ausmaß wieder ein. Unser berechenbares, sicheres und gut geplantes Leben ist aus den Fugen geraten. Viele Menschenleben sind bedroht, viele Existenzen auf der Kippe. Und das auf der ganzen Welt. Nur eine Frage der Zeit, wann und wie wir persönlich betroffen sein werden.
Nichtsdestotrotz glaube ich daran, dass wir diese Zeit meistern werden, und wünsche mir, dass wir alle daraus lernen können. Es ist auch eine Chance, insgesamt über unser Miteinander, den Lebensraum Erde und unsere wirtschaftlichen Entwicklungen nachzudenken und etwas zu ändern! Alle zusammen und jeder auch für sich!

Bei uns zu Hause läuft es wirklich gut und wir sind gesund!
Die vom RGE gestellten Aufgaben sind für meinen Teenie gut machbar, die Themen gut aufbereitet und überwiegend interessant. Dank WhatsApp (dass ich das mal sagen würde) klappen die Kontakte zu Freunden und Klasse auch gut und niemand scheint zu vereinsamen. Der persönliche Kontakt zu unseren Familien, Freunden und der Sport fehlt uns trotzdem allen sehr. Ich fahre noch ins Büro, mein Mann ist in Homeoffice. Die Kinder konnten dank des guten Wetters viel in den Garten und wir sind täglich lange durch den menschenleeren Wald gelaufen. Heute hat mich mein Teenie tatsächlich gefragt, ob wir noch spazieren gehen - trotz Kälte! Das freut mich und macht mich sehr demütig.
Ob es nach Ostern wieder "normal" weitergeht, wage ich aktuell noch zu bezweifeln. Aber ich habe jetzt schon gelernt, dass ich es auf mich zukommen lassen muss und es trotzdem weitergeht, auch wenn ich nicht alles geplant und durchdacht habe. 

Ich wünsche allen viele positive Gedanken, Gott an unserer Seite und vor allem Gesundheit!!! Hoffentlich können wir uns bald persönlich wieder sehen!

Sonntag, 29.03.2020 (Tag 14)

Liebes RGE Tagebuch,

eigentlich wären jetzt bald Osterferien und die meisten Schülerinnen und Schüler würden sich auf diese freuen. Viele wären vielleicht in den Urlaub gefahren oder hätten sich mit Freunden getroffen. Jetzt ist dies alles hinfällig, und - wie ein Freund es formuliert hat - gilt: „Abstand ist in diesen Zeiten ein Zeichen der Liebe“. Daran sollten sich nun alle halten, damit schnell alles wieder ansatzweise normal läuft. Ich persönlich finde dies nur bedingt einfach. Meiner Meinung nach ist es schlimm, nicht mal die eigenen Großeltern oder andere Verwandte, geschweige denn seine Freunde umarmen zu können. Außerdem finde ich die Langeweile teilweise sehr plagend...Meine Playlist kann ich schon rückwärts mitsingen und langsam werden auch viele andere Dinge eintönig. Glücklicherweise gibt es die Möglichkeit, über verschiedene Apps wie beispielsweise „Houseparty“ oder auch einfach „WhatsApp“ mit entfernteren Verwandten, den Großeltern oder auch den Freunden Kontakt zu halten. Ich glaube trotz der schwierigen und äußerst kritischen Situation im Moment kann man etwas aus dieser lernen: beispielsweise wie wichtig Zusammenhalt ist, was das wirklich Entscheidende im Leben ist und auch, wie wichtig unsere Politik ist. 

Ich wünsche allen, dass sie gesund bleiben und trotz der aktuellen Situation ein frohes Osternfest haben.

Samstag, 28.03.2020 (Tag 13)

Seit zwei Wochen in selbstgewählter Isolation! Und das ganz allein mit einer Sechsjährigen und einem Dreijährigen, denn mein Mann ist ja in seinem Beruf unabkömmlich. „Halten Sie einfach Abstand“, wird ihm von der Geschäftsleitung mitgeteilt, „Homeoffice werden wir nicht einrichten. Sie schaffen das schon.“ Das hoffe ich auch…

An sich funktioniert der Alltag zu dritt hier. Nur konnte ich meine Ziele „jeden Tag einen Regalboden aufräumen“ nicht wie geplant umsetzen. Wenn ich es mal geschafft hatte, die Kinder so zu beschäftigen, dass ich mich längerfristig dem Homeoffice widmen konnte, musste nachher – verglichen mit einem Regalboden – in ganz anderen Dimensionen aufgeräumt werden.
Corona ist anstrengend und omnipräsent: Radio, Fernsehen, Internet. Es gibt kein anderes Thema mehr. Erschreckend, wie ein so kleiner Virus so viele Kapazitäten binden kann, so viele Menschen bewegt, ängstigt, isoliert und tötet. Die Zahlen sprechen für sich, die Erkrankungsrate steigt jeden Tag rasant an – und noch haben wir das Plateau nicht erreicht.
Was uns in Zukunft wohl erwartet? Ich will darüber nicht nachdenken. Ich lebe hier von einem Tag auf den anderen und versuche die kleinen und großen Herausforderungen zu meistern. Beispielsweise hätte ich im Traum nie daran gedacht, dass ich mir mal bei meinem Wocheneinkauf Gedanken darüber mache, was ich tun werde, wenn wieder kein Toilettenpapier mehr da sein sollte.
Obwohl das trivial ist, brauche ich hier dennoch eine Lösung. Schwerwiegender ist es, dass wir unseren Schwager, der vor ein paar Tagen notoperiert wurde, nicht im Krankenhaus besuchen können. Selbst seine Frau durfte nur für ein paar Minuten in kompletter Schutzkleidung hinein. Zum Glück geht es ihm wieder besser. Aber ich ahne, was sich sonst gerade für familiäre Dramen in diesem Bereich abspielen. (Trotz allem weiß ich natürlich, dass diese Maßnahmen im Krankenhaus (über)lebenswichtig sind.)

Natürlich mache ich mir Sorgen, besonders um die Älteren in unserer Familie. Angst habe ich nicht. Trotzdem bekomme ich einen großen Schrecken, als ich sehe, wie mein Sohn freudestrahlend auf einen Freund zuläuft und ihn umarmt, als wir diesen zufällig beim Spazierengehen treffen. Das wäre vor dreieinhalb Wochen noch kein Problem gewesen. Doch Covid-19 rückt näher, auch im EN-Kreis. Aber wie kann man einem Dreijährigen begreifbar machen, dass er auf Abstand gehen muss? Theoretisch weiß er es, aber in der Situation kann er es nicht umsetzen. Und ich konnte nicht so schnell reagieren.
Der momentanen Situation etwas Positives abzugewinnen, fällt mir schwer. Ich sehne mich nach meinem „geregelten“ Alltag zurück. Da kann auch das schöne Wetter mich nicht umstimmen.
Gleich werden wir zwei Regenbogen malen und ins Fenster hängen. Es geht weiter…

Freitag, 27.03.2020 (Tag 12)

Ich vermisse meine Freunde, Oma und Opa, meinen Alltag. Dinge, auf die ich mich gefreut habe, sind abgesagt. Zu meinem Geburtstag wird keiner kommen können. Aber ich finde es gut, dass ich mehr Ruhe bei meinen Hausaufgaben habe als in der Schule. Außerdem haben wir mehr Zeit als Familie. Irgendwie merkt man jetzt mehr, was im Leben wirklich wichtig ist.

Donnerstag, 26.03.2020 (Tag 11)

 Es gibt noch kleine Wunder: Handynutzung, Fernseher gucken, alles langweilig. Gerade jetzt, da wir die Nutzungszeiten gelockert haben, alles langweilig. Meine Idee: “Schatz, du kannst mir beim Fensterputzen helfen!“ Die überraschende Antwort: „Oh ja, aber nur, wenn ich den Kä….. Fenstersauger benutzen darf!!!!“ Kein Problem! Was soll ich sagen, sie hat in zwei Tagen alle Fenster im Haus geputzt. Das lästige Fensterrahmen-Putzen durfte ich übernehmen, da hatte sie wörtlich keinen Bock! Ich habe mich sehr gefreut, dass ich einmal nicht putzen musste. Leider hat sich die Euphorie nicht auf die Große übertragen. Sie verlässt nur, wenn es nötig ist, ihr Bett und genießt die Ruhe!

 

Mittwoch, 25.03.2020 (Tag 10)

Liebes RGE-Tagebuch!
Viel strömt auf uns ein, viele Themen müssen wir erst einmal im Kopf verarbeiten und auch noch passend im (verbliebenen) Alltag umsetzen. Tolle Einträge und Kommentare hast Du dazu schon bekommen. Daher möchte ich mich an dieser Stelle einfach mal darauf beschränken, ein großes dickes Dankeschön an unsere Schule zu geben. Den Unterricht über den Online-Classroom zu organisieren hat, zumindest für uns, super funktioniert. Das Miteinander der Schüler und Lehrer klappt wirklich super. Und Spaß macht es laut meiner Tochter auch noch :o) Aus unserem Freundes- und Verwandtenkreis haben wir erfahren, dass nicht jede Schule so gut aufgestellt ist. Vielerorts herrschen großes Durcheinander und ein nicht zu bewältigendes, unstrukturiertes Arbeitsaufkommen. Deshalb an unsere Schulleitung und die Lehrkräfte: DANKE für den Einsatz, die Umsetzung und die tollen Ideen :o)  

Dienstag, 24.03.2020 (Tag 9)

Es plagt die Ungewissheit. Mich auch. Was wird werden? Wie wird es in Zukunft werden? Wie wird sich die Menschheit – um die geht es ja nun – auf solche Lagen einstellen? Reicht das Know-how der Wissenschaft? Oder werden wir uns von nun an im Gebet trösten müssen?

Wer weiß? Und das ist der Kern des Wortes Ungewissheit. Die Zukunft können wir „nicht wissen“. Wir haben uns zwar daran gewöhnt, zu kalkulieren, Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen, Verlässlichkeit zu genießen, wenn wir an das Morgen denken. Unsere Ahnungen zu morgen haben sich ja mit einer erschreckenden Genauigkeit – im Privaten, im Beruf, im familiären Alltag – bewahrheitet. Welch eine Vermessenheit unseres satten Lebens, zu glauben, dass das immer so weiter gehen muss.

Mein Großvater hat in seinen Memoiren sinngemäß geschrieben, wie uninteressant, ja vielleicht sogar wie langweilig unser Leben wäre, wenn es ein voraussehbares Ende hätte. Hierin erkenne ich die Spannung, die in unserem irdischen Dasein liegt: Die Zukunft war und ist immer und zu jeder Zeit ungewiss. Darin liegt – so sehe ich es gerade – der Reiz. Vielleicht macht die Notwendigkeit, sich stets auf neue Situationen einzustellen, neue Probleme lösen zu müssen, das Leben erst interessant. Vielleicht schöpfen wir aus der noch so schwierigen Lösung einer Lage unsere Über-Lebenskraft.

Demütig macht mich das Wissen darum, dass es auf diesem Planeten Millionen von Menschen gibt, die in ihrem Leben immer und zu jeder Zeit mit den größten Ungewissheiten in die Nacht und in den neuen Tag gehen. Bomben, Viren, Naturgewalten, sie lassen sich nicht vollends vorhersehen. So ist das nun auch eine Zeit der Solidarität mit all jenen. So fühlt es sich also nun an für uns „glückliche“ Nachkriegskinder. Eine Zeit des Neu-Lernens hat begonnen.

Montag, 23. März 2020 (Tag 8)

Ich nutze das Wochenende, um runter zukommen von der Woche, von meinen Erlebnissen, Beobachtungen und Erfahrungen. Es gelingt mir nur stellenweise und dürftig, da ist noch Luft nach oben.

In der Regel verbringe ich ein paar Stunden meines Wochenendes mit dem Zuschauen des Vereinssports meines Teenagers. Mir fällt das letzte Spiel ein, das letzte überhaupt in dieser Saison, bevor der Vereinssport /  Mannschaftsspiele / Wettkämpfe von jetzt auf gleich ruhten. Das letzte Spiel: kleine Halle, viele Leute, große Emotionen und sehr schlechte Luft. Sind alle noch gesund oder waren alle coronafrei? Habe ich vielleicht nur die "leichte, kaum spürbare Form" und habe, ohne es zu wissen, bei jedem meiner Kontakte die Infektion an je drei weitere Menschen in meinem Umfeld abgegeben? Wir saßen alle eng beieinander, haben uns umarmt bei der Begrüßung und bei der Verabschiedung. DAMALS ist das so gewesen, es scheint wie ein anderes Leben, es ist 14 Tage her.

Die neuen Regeln sind seit heute in Kraft: Im Moment wünsche ich mir ganz oft einen Rohrstock. ICH, ja ICH! Auf meinem Fußweg nach Hause, an der Fußgänger-Ampel stehend, beobachtete ich zwei aus der Ü70/Ü80 Fraktion, sie schnäuzt in ihr Taschentuch, die beiden scheinen schon länger da zu stehen, sie unterhalten sich angeregt, Jacke an Jacke. Als die Ampel auf Grün springt, verabschieden die beiden sich herzlich mit HANDSCHLAG. Meine Faust ballt sich zusammen, wie gut, dass ich gerade keinen Rohrstock habe. 

Samstag, 21.03.2020 (Tag 6)

Tag fünf im Homeoffice. Zwar habe ich mich langsam daran gewöhnt und finde auch irgendwie Gefallen daran, mir meine Arbeitszeit selbst einteilen zu können. Doch trotzdem ist diese ganze Situation immer noch surreal. Als vor einer Woche verkündet wurde, dass die Schule bis nach den Osterferien geschlossen wird, machte sich in mir vor allem das Gefühl der Frustration breit. Die Vorstellung, fünf Wochen quasi eingesperrt zu sein, missfiel mir. Keine sozialen Kontakte, bis auf die zu meinen Eltern, haben zu dürfen und nichts als mein Zuhause zu sehen, deprimierte mich irgendwie. Der einzige Lichtblick war, wenigstens in den Garten oder in den Wald, einfach rausgehen zu können. Doch nun, nach einer Woche gewöhnt man sich daran, ausschlafen zu können, mehr Freizeit zu haben, Zeit für Dinge zu finden, für die sie einem normalerweise fehlt, mal wieder mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, zuhause zu bleiben, um sich und andere zu schützen.

Aber trotzdem ist da noch die Angst. Angst davor, man selber oder seine Liebsten könnten infiziert werden. Angst vor einer endgültigen Ausgangssperre, womit das Gefühl eingesperrt zu sein noch verstärkt würde, obwohl sich für mich vermutlich nichts ändern würde. Und die Ungewissheit darüber, wie lange die Situation wohl andauert, wie lange es dauert, sie in den Griff zu bekommen. Ungewissheit darüber, wie es nach diesen fünf Wochen wohl weitergeht.

All das steht in den Sternen und vermutlich hat keiner eine wirkliche Antwort darauf. Denn dies ist eine außergewöhnliche Situation, die keiner jemals erlebt hat und mit der keiner so wirklich umzugehen weiß, und die einzige Lösung ist zuhause zu bleiben. Jedoch besteht über allem der Glaube daran, dass wir das schaffen. Gemeinsam. Und die Hoffnung, dass es möglichst bald überstanden ist.

Samstag, 21. März 2020 (Tag 6)

Heute erzählt mir eine langjährige Kundin - in drei bis vier Meter Abstand - von ihren Sorgen. Sie sieht schlecht aus. Ich kenne die ganze Familie seit Jahren. Die Tochter macht zurzeit ein Praktikum in Indien, erzählt sie. Jetzt hat sie dort als Europäerin einen Quarantäne-Stempel auf die Hände bekommen, dass sie nicht fort darf und den Behörden Folge leisten muss. Allerdings wird unser deutscher Luftraum am Sonntag, den 22.03.20, geschlossen. Ich kriege am ganzen Körper Gänsehaut und denke sofort an meine eigenen Kinder. Ich forme meine Hände zu einem Herz und lege diese auf mein Herz. Sie sieht auch meinen Schmerz. Wir nicken uns als Mütter zu.

Seit ein paar Tage zünde ich abends immer um 19  Uhr nach vorne zur Straße und nach hinten in den Hof eine LED Kerze an. Im Radio hatte ich davon gehört, irgendeine Kirche in NRW praktiziert dies. Verrückt, in dem Moment, als im Radio davon erzählt wurde, hat es sich tröstlich angefühlt für mich, also ist es zu meinem abendlichen Ritual geworden. Es tröstet MICH. 

Eine andere Kundin erzählt mir - im Abstand von 2 Metern - von ihrem Arbeitsalltag in einem Bioladen-Supermarkt. Von ihren Erlebnissen und von dem Verhalten einiger Menschen und wie chaotisch es am Montag und Dienstag noch gewesen wäre und dass sie jetzt endlich Handschuhe bekommen hätten und endlich Sicherheitsabstände auf dem Boden aufgemalt wären und Schilder darauf hinweisen, maximal zwei Dinge von einer Sorte einzupacken und nicht mehr. Sie fürchtet um ihren Arbeitsplatz. 

Wir sprechen davon, wie wichtig es sei, in diesen Zeiten Komfortzonen zu verlassen, umzudenken und neue und andere Wege zu gehen und alte Zöpfe abzuschneiden. Ich frage sie, ob sie auch Bringdienste anbieten und ob man bei ihnen bestellen könnte, telefonisch oder online. Sie verneint es nachdenklich. Ich mache meinem Unmut Luft, es macht mich traurig und wütend zugleich, dass Amazon (ein amerikanisches Unternehmen auf der grünen Wiese) jetzt zusätzlich 100.000 Mitarbeiter einstellt und es die kleinen Bio-Supermärkte vielleicht demnächst gar nicht mehr gibt. Nachdenklich sagt sie, sie würde mit ihrem Chef sprechen, vielleicht könnten sie kopierte Handzettel in die hiesigen Haushalte werfen und Bringdienste anbieten. Mein Herz macht einen Freudensprung! Ich strahle sie an und sage ihr, wie toll ich ihre Idee finde.

Etwas später treffe ich eine andere Kundin, diese arbeitet in einer unserer gängigen großen Supermarktketten. Wir halten den empfohlenen Abstand. Ich gehe da auch oft einkaufen, da es auf meiner "Lauf"-Strecke liegt. Ich frage sie nach ihren momentanen Arbeitsbedingungen und Erlebnissen und wieviel Vollzeitkräfte überhaupt dort beschäftigt seien. Was sie erzählt, glaube ich sofort, dieser Arbeitsalltag ist zur Zeit ungeheuerlich, die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird von der aggressiven "first-me-Mentalität" seitens der Kunden und von den "Chefs", die für diesen Laden nur drei Vollzeitstellen beschäftigt haben. Der Rest ist auf 450€ - Basis beschäftigt. Es sei die Rede von sieben Tagen die Woche arbeiten und bis 22 Uhr geöffnet haben, um alles zu entzerren. Leisten soll es dieselbe Belegschaft. Ich bekomme tiefen Respekt vor dieser zierlichen Person, die zwei Meter vor mir steht, und ich bin unendlich dankbar, dass sie ihr Bestes für unser aller Versorgung gibt! Genau das sage ich ihr und bitte sie, meinen Respekt und meine Dankbarkeit auch ihren anderen Kollegen auszurichten. Still frage ich mich, wann die drei vor Überforderung zusammenbrechen!

 P.S.:  Sie hat weder Einmal-Handschuhe, noch kleben Markierungen zum Halten des Sicherheitsabstandes auf dem Boden. Glasscheiben gibt es selbstverständlich auch nicht!

Freitag, 20.03.2020 (Tag 5)

Heute habe ich viel für die Schule gemacht. Die Mathe-Aufgaben haben sehr viel Spaß gemacht. Ich habe heute mit meinen Freundinnen telefoniert. Das war sehr schön. Am Abend werden wir uns "Dein Song Finale" ansehen.

Freitag, 20.03.2020 (Tag 5)

Alltagsgeschichten

Ich treffe Frau Soundso, Ü70, heute zum dritten Mal. Sie ist zwei Mal beruflich bei mir gewesen. Und ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich habe beschlossen in nächster Zeit zu Fuß zur Arbeit zu gehen, um runterzukommen.
Wir treffen uns an der Ampel. Sie hat jetzt ihren Einkaufstrolley dabei. Ihre Augen blitzen auf, wir grüßen uns sehr freundlich. Ich rufe ihr heute zum dritten Mal entgehen: "Was tun Sie denn hier?"
Frau Soundso: "Fangen Sie jetzt schon wie meine Tochter an?"
Ich frage sie: "Warum? Sagt ihre Tochter das auch zu Ihnen im Moment?"
Frau Soundso ganz entnervt: "Hören Sie bloß auf. Die hat jetzt Zeit, weil sie Homeoffice macht. Sie hat mich doch glatt angerufen heute morgen und gesagt, ein Bekannter hätte mich gestern mit dem Trolley gesehen und warum ich so einen Quatsch machen würde, schließlich würde sie doch im Moment für mich einkaufen gehen."
Sie schimpft weiter vor sich hin: "Die kontrolliert MICH richtig, muss man sich mal vorstellen. Ich habe sie gefragt, ob sie jetzt mein Kontrolleur ist!!!"
Sie schaut mich an. Ich zucke überfordert mit den Schultern und lächle wahrscheinlich etwas schräg, ich wünsche ihr einen schönen Tag und erfolgreichen Einkauf mit ihrem Ü70-Porsche und sage zum dritten Mal zu ihr heute: "Passen Sie gut auf sich auf!"

Generell fällt mir dieser Tage auf, wie furchtbar viele der Ü70-Fraktion in freier Wildbahn unterwegs sind. 

Ich fange an Freunde zu fragen, was ihre Eltern so machen. Am nachdenklichsten hat mich folgende Geschichte eines Mannes gestimmt, der mir ganz offen und voller Sorge erzählte, dass er leider seine Eltern, sie gehen auf die neunzig zu, kaum gebändigt bekommt. Da sie auf dem Land wohnen und schlecht zu Fuß sind und Keller, Garage, Kühlschrank gut gefüllt sind, hat er seinem Vater kurzerhand den Autoschlüssel abgenommen. Die sind jetzt sauer auf ihn.

Immer wieder kommt hoch, was ich versuche zu verdrängen, was ich aktuell mit meinen besten Freunden, einem Ehepaar, erlebt habe. Beide gehen stramm auf die achtzig zu. Sie hatten letzte Woche eine Busreise in die Toscana (Italien) gebucht, etwas eingeschüchtert von den Ereignissen haben sie entschieden, vielleicht doch besser eine Busreise nach Dresden zu unternehmen.  

Ich habe versucht, was ich konnte, hab ihnen noch frühmorgens am Freitag, dem 13.03.20, eine WhatsApp geschrieben und ihnen gesagt, was für ein schlechtes Bauchgefühl ich hätte und dass ich mir Sorgen machen würde und dass ich befürchten würde, Theater etc. würden schließen müssen aufgrund der Entwicklung. Und ich bitte sie, ernsthaft drüber nachzudenken, ob sie es nicht verschieben könnten.

Gegen Mittag schrieben sie mir fröhlich, sie hätten gerade schön in Kassel gegessen und von den 16 Mitreisenden im Bus würde auch keiner husten. Das hat mich kein bisschen beruhigt. Ich habe ihnen dann eine schöne und gesunde Reise gewünscht.

Am Montag, dem 16.03.20, vor Dienstbeginn habe ich mich erst wieder getraut zu fragen per WhatsApp, wie es ihnen gerade gehen würde und wo sie sich gerade aufhalten würden. Ich habe sehr schöne Urlaubsfotos zugesendet bekommen und einen kleinen Text, warum ich denn so früh schreiben würde, ob es mir auch gutgehen würde. Ich habe aus lauter Verzweiflung und Überforderung lachende Smilies geschickt. Im Nebensatz stand in ihrer Nachricht, ihr Schwiegersohn würde sie gegen 10 Uhr in Weimar abholen. 

Gegen Abend habe ich sie erneut kontaktiert, ob sie wieder zuhause wären. Wir haben telefoniert, ich habe immer stummer zugehört und sie erzählten ganz lebhaft. Viele Dinge habe ich mich gar nicht mehr getraut zu fragen - aus lauter Angst vor den Antworten, i.e.S. warum sie jetzt der Schwiegersohn abholen musste, wenn doch alles so toll war, und sie nicht mit der namhaften Busgesellschaft zurückgefahren sind.

Und jetzt habe ich wieder Angst zu fragen, wie es ihnen geht. Zu fragen, ob sie husten. Ich habe Angst Menschen zu verlieren, die ich liebe, die so viel für mich getan haben und die für mich da waren, nur weil sie diesmal gar nicht gut auf sich aufgepasst haben. 

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